Auf die hypothetische Frage, wie sich experimentelle Musikarchäologie anhören könnte, gibt die CD „Po łužiskich pućach – Łużyckim traktem – Auf Lausitzer Wegen“ insgesamt 13 mögliche Antworten. Kompetent eingespielt vom renommierten Released Sounds Trio, wurden auf dem Tonträger „Note für Note“ Lieder und Tänze verewigt, die im „Kralschen Geigenspielbuch“ erstmals schriftlich Erwähnung fanden. Diese autografe Anthologie aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts gilt als älteste Quelle der sorbischen Musik; für den polnischen Musikethnologen, Psychologen und Flötisten Maciej Rychły ist sie „aller Wahrscheinlichkeit nach das älteste authentische und reich mit Beispielen versehene uns bekannte Dokument der Volksmusik aller slawischen Regionen“. Nach etwa 15 Jahren, in denen er die „erstaunlich akkurate Notenschrift“ intensiv studiert hatte, wählte er aus den 182 dort eingetragenen Melodien 28 aus, die von den beteiligten Musikern in die 13 Titel des Tonträgers zusammengefasst wurden.

Wer in diesen Wochen an einer Lausitzer Buchhandlung vorübergeht, der erkennt im Schaufenster vielleicht einen stattlichen Titel in Grün: Das ist die Geschichte eines evangelischen Sorben aus Puschwitz/Bóšicy bei Neschwitz/Njeswačidło, der – als Soldat der sächsischen Infanterie – drei Einigungskriege überlebte (1864, 1866, 1870/71) und danach jahrzehntelang bei den Königlich Sächsischen Staatseisenbahnen seinen Dienst versah. Im Dörfchen Lehn/Lejno bei Obergurig/Hornja Hórka, an der Bahnstrecke Bautzen-Bad Schandau, wohnte er mit seiner wachsenden Familie, im Glauben seiner Väter fand er Erfüllung unter den zweisprachigen Nachbarn und Freunden. Nacherzählt hat diese „Lebensfahrt“ zwischen 1839 und 1909 seine Urenkelin, die sich dabei auf Notizen jenes Johann Zaute (sorbisch Jan Całta) stützen konnte. Sie heißt Sabine Bauer-Helpert, wurde 1950 in Schirgiswalde geboren, war Übersetzerin und vor allem Pfarrerin, als welche sie in der Pfalz und im Saarland sowie im Ausland gewirkt hat. Im Ruhestand kehrte sie 2016 in die Oberlausitz zurück und lebt seitdem in Görlitz.

Neue Pfade osteuropäischer Poesie

štwórtk, 28. decembera 2023 spisane wot:

Der Rumäne Traian Pop, geboren 1952 in Brașov/Kronstadt, ist seit nunmehr zwei Jahrzehnten ein engagierter Förderer ost- und südeuropäischer Literatur in Deutschland. Mithilfe seines 2002 gegründeten Verlags in Ludwigsburg bei Stuttgart veröffentlicht er regelmäßig Übersetzungen von Lyrik und Prosa in deutscher Sprache. Sein neuester Streich: die Herausgabe von Gedichten aus Osteuropa, aber nicht nur auf Deutsch, sondern – hauptsächlich durch Vermittlung von Benedikt Dyrlich – auch auf Obersorbisch. Der erste Versuch in dieser Richtung war eine Auswahl der Poesie des Serben Mićo Cvijetić (1946-2023). Der Journalist Cvijetić, renommierter Slawist und enger Freund der Lausitzer Sorben, publizierte 2019 im Pop-Verlag die sorbisch-deutsche Gedichtsammlung „Donjebjesspěće / Himmelfahrt“ – die erste literarische Kostprobe in einer solchen Kombination überhaupt.

Eher der stille Beobachter

srjeda, 29. nowembera 2023 spisane wot:

Was für ein Glück, wenn man in seinem Arbeitsleben (das nicht mit der Rente enden muss) das tun kann, was einen erfüllt, Freude bereitet und ganz nebenbei auch noch für andere Menschen wichtig ist. Dem Fotografen Jürgen Matschie war dieses Glück beschieden. Und er setzt sich auch nach seinem 70. Geburtstag noch längst nicht zur Ruhe. Zurzeit sichtet er sein Lebenswerk, um es der Deutschen Fotothek zu übergeben. Und der Domowina-Verlag hat ihm zu seinem runden Geburtstag, den er im Februar dieses Jahres feiern konnte, ein adäquates Geschenk gemacht: den Bildband „Ducy domoj – Unterwegs nach Hause“. Der Untertitel „Fotografien 1972–2022“ zeigt schon, dass es sich dabei um die Bilanz eines 50-jährigen Schaffens handelt. Es gibt sogar „Ausreißer“ nach unten: Bereits 1965 fotografierte Jürgen Matschie seine Eltern Liesbeth und Erich Matschie. Hier zeigte es sich bereits, dass er es schon in jungen Jahren nicht darauf anlegte, Menschen für ein Foto zu „stellen“. Matschie ist eher der stille Beobachter, der es versteht, die Menschen vergessen zu machen, dass überhaupt ein Fotograf zugange ist.

Sie liebt die Lausitzer Heimat

srjeda, 25. oktobera 2023 spisane wot:

Der Malerin und Grafikerin Kersten Flohe bieten Kunst und Kultur der Lausitz seit ihrer Jugend vielfältige Inspirationen. Als Tochter der Volkskünstlerin Sigrid Bolduan ist sie schon früh in ihrem Wohnort Klein Loitz bei Spremberg damit in Berührung gekommen.

Pionier, Erfinder, Lehrer, Forscher

srjeda, 27. septembera 2023 spisane wot:

„Nur in wenigen Fällen wird das Wirken einer Person“, die das „wissenschaftlich-kulturelle Leben der Sorben nachhaltig geprägt oder beeinflusst“ hat, in „einem Buch zusammengefasst“. Dies schreibt Betina Kaun im Vorwort zu ihrer Monografie „Der Bauingenieur Eberhard Deutschmann | Dučman – Zwischen Lausitzer Holzbaukunst und industriellem Bauen“. Der 100. Geburtstag sowie der 20. Todestag Deutschmanns waren ihr Anlass, ein Werk zu verfassen, das einer überaus vielseitigen, produktiven und wirkungsreichen Persönlichkeit gewissermaßen ein Denkmal setzt – zumal diesen Namen außerhalb der jeweiligen Fachbereiche wohl nur die wenigsten einzuordnen wüssten.

Europäischer Perspektivwechsel

srjeda, 30. awgusta 2023 spisane wot:

Was ist resp. bedeutet Identität? Was ist resp. bedeutet Heimat? Diese heutzutage häufig gestellten Fragen waren der Ausgangspunkt einer Reise quer durch Europa, die letztlich wenige Antworten, dafür jedoch umso erhellendere Erkenntnisse zu Tage förderte. „Europa war im Hochmittelalter ‚europäisiert‘ worden und wurde so einheitlich wie nie. Um es etwas ketzerischer auszudrücken: Europa hat sich im Mittelalter selbst kolonisiert.“ Dies schreibt der aus Ratenče (Ratnitz) in Kärnten stammende, inzwischen in Wien wohnende Historiker und Podcaster („Déjà-vu Geschichte“) Ralf Gra­buschnig in seinem aktuellen Buch „Unterwegs zwischen Grenzen – Europas Minderheiten im Schwitzkasten der Nationen“. Den Untertitel seiner Publikation quasi konterkarierend und retrospektiv resümierend beschreibt der Autor die Motivation, aus unterschiedlichen Perspektiven nach seinen Wurzeln zu graben, mit den Worten: „Mein gemütliches Dasein in der angeblichen Mehrheitsbevölkerung, die einfachen Kategorien der Zugehörigkeit.

Exkursion in die Kindheit

srjeda, 26. julija 2023 spisane wot:

Es sind zwei dicke Bände, die den Leser mitnehmen in die Zeit zwischen Ende der 1950er Jahre und Mitte der 1960er Jahre. Handlungsort ist das fiktive Dorf Birkowitz, das unschwer zu verorten ist im deutsch-sorbischen Heidegebiet nördlich von Bautzen. Die Spree und Fischteiche spielen eine nicht unbedeutende Rolle im Leben der Dorfjungen. Zentrale Figuren sind die Brüder Siegbert und Hubert, wobei zu vermuten ist, dass in den Erlebnissen der beiden viel selbst Erlebtes des Autors Erhard Spank seinen Niederschlag fand. Dieser wurde 1952 in Bautzen geboren und war später als Physik- und Mathematiklehrer tätig. 2018 veröffentlichte er seinen ersten Roman „Die schwarze Mittagsfrau“, 2021 folgte „Der trockene Wassermann“. Beide Bände umfassen nahezu je 500 Seiten. Viel „Holz“, aber wann hat man schon mal die Zeit, ausgiebig zu schmökern, wenn nicht während des Feriensommers? Außerdem ist die Lektüre sehr kurzweilig. Für Leser, die der gleichen Generation angehören wie der Autor, gibt es viele Aha-Effekte. Für jüngere Leser sind die Episodenromane spannende Geschichtsbücher.

In jeder Familiengeschichte spiegelt sich auch Weltgeschichte. Selbst im kleinsten Dorf bleiben die Menschen nicht von den Entwicklungen dort draußen in der Welt verschont. Da wird eine junge Frau aus der dörflichen Idylle im kleinen Sollschwitz bei Wittichenau herausgerissen, weil die Machthaber in der NS-Zeit der Meinung sind, dass Mädchen zwangsverpflichtet irgendwo weit im Osten arbeiten sollten. Die junge Marja Schiebschick verschlägt es nach Steinort (heute Sztynort), wo sie eine Freundin findet, aber auch die große Liebe ihres Lebens. Hein Petersen aus Hamburg wird der Vater ­ihrer Tochter Waltraud Milena. Doch er kehrt aus dem Russlandfeldzug nicht zurück, obwohl Marja noch jahrelang auf ein Wunder hofft.

Čej’ da sy? – Wessen bist Du? Zu wem gehörst Du? Eine Frage, die bei den Sorben gern gestellt, jedoch verschieden gern beantwortet wird. Sicherlich sind junge Menschen stolz auf ihre Eltern. Letztendlich jedoch wollen sie selbst in all ihren Facetten wahrgenommen werden. Und eben dieses wird in der aktuellen Sonderausstellung „Čej’ da sy?“ im Sorbischen Museum in Bautzen deutlich. Klar, auch in verschiedenen deutschsprachigen Gegenden wurde ehemals die Frage: Wessen bist du?, gestellt. Im Sorbischen jedoch gehören Frage und Antwort zu einer Identität, sie sind faktisch das Bekenntnis zur Nationalität – zum alltäglichen Sorbischsein. Ungewöhnlich ist die Ausstellung besonders aus einem Grund: Sie verbindet Generationen und verdeutlicht deren Denk- und Lebensweise. Trotzdem, und das wird ganz schnell deutlich, hat der deutschsprachige Besucher einen anderen Ansatz. Denn der Titel in deutscher Sprache lautet „Wurzeln im Wandel – Einblicke in die sorbische katholische Welt“. Am 14. Mai eröffnet, erreichte die Ausstellung bereits eine erstaunliche Resonanz.

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