„Bringen Sie Ihre eigene Lupe mit!“ Diesem heißen Tipp des Kurators Jürgen Matschie muss man nicht unbedingt Folge leisten, wenn man sich auf Entdeckungstour in die neue Sonderausstellung des Sorbischen Museums Bautzen begibt. „Wotmolowane – Mit Licht gemalt“ ist ihr Titel, und zu entdecken gibt es eine Menge auf den historischen Fotografien aus der sorbischen Lausitz von den Anfängen bis in die 1930er Jahre, wie es im Untertitel exakt heißt. Lupen gehören in diesem Fall zur Ausstattung der Schau selbst, und von ihnen Gebrauch machen muss man nicht, sollte man aber – da ist dem Ausstellungsmacher und Fotografiker zuzustimmen.

Über die DDR-Zeit gibt es in der sorbischen Geschichtsschreibung bis heute große Lücken, besonders zum Thema „Überwachung der Sorben durch den Staatssicherheitsdienst“. Das MfS hatte von Anfang an den Auftrag, den „nationalistischen Umtrieben“ unter den Sorben Beachtung zu schenken und ein Netz von IMs unter den Sorben aufzubauen. Dies hob Dr. habil. Timo Meškank auf der Buchpremiere seines neuen Werkes „Sorben im Blick der Staatssicherheit“ hervor, das vor Kurzem im Domowina-Verlag Bautzen erschien.

Der Leipziger Historiker, Sprachwissenschaftler und Privatdozent Meškank war selbst Mitautor der nicht genehmigten Zeitschrift „Serbski student“ in der Endzeit der DDR. Er stammt aus einer bekannten sorbisch-katholischen Intellektuellenfamilie.

Nach sechsjähriger Fleißarbeit umfangreichen Studiums Zehntausender Aktenseiten der Stasi und weiterer bisher nicht bekannter Unterlagen zur Nationalitätenpolitik der DDR sowie Lite­ratur und Quellen zum Thema legte er jetzt sein neues Buch vor.

Ein Windrad aufs Dach des Kritischen

srjeda, 31. awgusta 2016 spisane wot:

Wie so oft ist es mit dem Buchtitel so eine Sache. Dieser – „Windrad auf dem Dach“ – erschließt sich auf Seite 130. Bis dahin kommt man auch ohne die Erklärung aus. Denn es ist absolut vergnüglich, diese Erinnerungen zu lesen. Jurij Koch ist es gegeben, Dinge, Verhältnisse, Menschen liebevoll, mit einem ganz besonderen Taktgefühl zu beschreiben. Er würde nicht sagen: ein Kaff, er sagt: ein Dorf, das immer hundert Menschen hat. Er sagt nicht, sein Lehrer Simon hätte gestottert, er beschreibt ihn als jemand, der „sich unentwegt mit geschlossenen Augen die Silben von der Zunge pressen muss“. Keine Anekdoten mit Grinsepotenzial, lieber schreibt er seinen Lehrern ein Denkmal. Erinnert sich an bewegte Zeiten im ersten sorbischen Gymnasium, im Wohnheim „Zejler“, in seiner ersten Redaktion. Es geht um sein Leben ab den ersten fünfziger Jahren, und es ist ein ungewohnter Blick darauf. Jurij Kochs Sprache macht dieses Schauen zum Staunen. Sowohl für jemand, der die beschriebene Zeit noch kennt, als auch für Leute, denen das alles wie aus Sagen und Märchen vorkommen könnte.

Wild und ungezügelt, direkt und kraftvoll – aber auch rebellisch, drastisch, aggressiv und provokativ wirken seine Bilder auf den Betrachter. Neoexpressionistisch nennen das die Fachleute und manche vergleichen den Stil von Thomas Kern mit dem des afroamerikanischen Künstlers Jean-Michel Basquiat. Der Schrecken spielt bei beiden eine Rolle. Abschrecken können die Bilder auch – so sagte 2011 ein Dresdener Hausbesitzer kurz vor der Eröffnung die Ausstellung von dekern – wie er sich mit Künstlernamen nennt – ab und ließ die 70 Arbeiten abbauen. Thomas Kerns Initiationsgeschichte ist die eines Autounfalls, der den damals Siebzehnjährigen ins Koma katapultierte – und ihm von da an unzählige innere Bilder bescherte. Exzessives Malen war die Folge und das bestimmt das Leben des 46-Jährigen bis heute.

Viel kann geschehen in einem langen Schriftstellerleben. Zumal, wenn der Schreiber mehrere politische Epochen überlebt. Bilder entstehen dann, hartnäckig oder wankend, nicht selten etwas neben der Wahrheit. Jurij Brězan konnte davon ein Lied singen. Er tat es leise. Alles andere hatte seiner Meinung nach wenig Sinn. „Steht doch alles in meinen Büchern“, sagte er gern zu seiner Person. Wer hat sie alle gelesen, um ihn zu kennen, wer kennt ihn so gut, um über ihn zu schreiben? Viele sind das nicht, auch nicht in der Lausitz. Gut, dass es das Sorbische Institut gibt, gut, dass sein Direktor Dietrich Scholze Slawist, Sorabist und aufmerksamer Zeitgenosse von Brězan ist. Er schafft es mit Akribie in bester, wissenschaftlicher Manier, das Bild seines Landsmannes so zu zeichnen, dass es einem besonderen literarischen Werk gerecht werden kann. Wer Brězan kennt, muss „Bild des Vaters“ denken, an einen anderen Versuch, einer Person und ihrer Wirklichkeit so nah wie möglich zu kommen.

Im Bautzener Domowina-Verlag erschien rechtzeitig zur Leipziger Buchmesse in deutscher und sorbischer Sprache ein Bildband der Reihe sorbische Fotografen mit dem Titel „Gerald Große – Lausitzer Fotografien – Wobrazy z Łužicy“. Diesmal steht im Mittelpunkt das Schaffen des Diplom-Fotografikers Gerald Große, der heute in Wien lebt. Dabei konzentriert sich Herausgeber Jürgen Matschie auf Schwarz-Weiß-Fotos, die sein Berufskollege in der Zeit von 1957 bis 1990 in der Lausitz schuf.

Eine Stadt entwickelt sich. Da gibt es Neubau und auch Verfall. Veränderungen, die in unserem Gedächtnis verblassen, je länger sie zurückliegen. Das Heute ist präsent, doch wie sah das Gestern aus? Diese Frage weckt nicht nur Neugier nach dem, was einst war, sondern ist eine ausgezeichnete Begleiterin durch die neue Sonderausstellung „Rolf Dvoracek. Die Suche nach dem perfekten Augenblick. Bautzen in Fotografien aus sechs Jahrzehnten“ im Museum Bautzen.

Die Ausstellungsmacher Hagen Schulz und Ulrike Telek konnten auf das reiche Archiv des Bautzener Bildjournalisten Rolf Dvoracek zurückgreifen, der im vergangenen Jahr seinen 80. Geburtstag feierte. Dvoracek ist nicht nur älteren Lesern der hiesigen Sächsischen Zeitung oder der sorbischen Zeitung Nowa doba ein Begriff für fotojournalistische Qualitätsarbeit. Seine einfühlsamen Porträtfotografien von bedeutsamen Zeitgenossen waren ebenso ein Markenzeichen in der Bautzener Kulturschau.

Am Anfang war nicht das Ei

srjeda, 24. februara 2016 spisane wot:

Die Frage, was zuerst war, Huhn oder Ei ist schwerlich zu lösen. Dass das Ei aber vielleicht nicht am Anfang aller Verzierung stand, die heute so typisch für sorbische Ostereier mit ihren Dreieck- und Strahlen-Mustern scheint, das zeigt die neue Sonderausstellung des Sorbischen Museums in Bautzen. Museumsmitarbeiterin Andrea Paulick hat sich auf die Spuren der Muster begeben und stellt das, was sie gefunden hat, uns nun unter dem Titel „Sonnenrad und Wolfszähne. Verzierte Ostereier aus der Lausitz“ vor.

Ein Hörerlebnis der besonderen Art

srjeda, 27. januara 2016 spisane wot:

174 Gedichte, CD-Player, bequemer Sessel. Mehr braucht es nicht – na ja, vielleicht noch ein Glas Wein dazu. Und schon ist das Poesieerlebnis perfekt, wenn man glücklicher Besitzer der drei CDs mit Gedichten von Kito Lorenc ist. Hört man sich alle am Stück an, vergehen schon mal dreieinhalb Stunden. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, man schafft es und ist berauscht, sogar ohne Wein. Der anderthalb Jahre jüngere Michael Lorenz hat die Gedichte des Bruders mit seiner unverwechselbaren Schauspielerstimme in Hörszene gesetzt. Er traf auch die Auswahl der zwischen 1959 und 2015 entstandenen lyrischen Texte und ordnete sie mit Leitgedichten zu Themenkreisen.

Geschichten erzählen, das kann er. Egal, ob deutsch oder sorbisch, ob für Erwachsene oder Kinder, ob für Zeitung, Bühne, Film oder Radio, ob es ein Bilderbuch werden soll oder ein Krimi für junge Leser, ob es sich um einen historischen Fall aus dem Mittelalter oder eigene Kindheitserinnerungen handelt – auf eins kann sich der Leser bei Jurij Koch verlassen: Langweilig wird es nicht. Dafür beherrscht der 1936 in dem kleinen Dorf Horka in der Oberlausitz geborene Schriftsteller sein Handwerk zu gut.

Und Spaß macht ihm das Schreiben offensichtlich immer noch.

So erschien 2014 der zweite Teil seiner Erinnerungen an die Kindheit auf Sorbisch. Und bevor dem Leser die Zeit zu lang wird bis zur geplanten deutschen Ausgabe dieser Erinnerungen (der erste Teil erschien 2012 unter dem Titel „Das Feuer im Spiegel“), kann er sich jetzt schon an der Neuauflage eines Koch’­schen Klassikers sowie an zwei deutschen Erstveröffentlichungen erfreuen.

nowostki LND